Freitag, 23. Juli 2010

Der Blogger und das Johari-Fenster

Wenn Nichtblogger über Blogger nachdenken oder über Blogger sprechen, kommt fast unvermeidlich die Frage "Warum tut das jemand?" auf und etwas wertender die Bemerkung, dass das ja alles unglaubliche "Exhibitionisten" sind, die es "nötig haben, alles, was sie denken, öffentlich zu machen."

Ich denke, das ist zu kurz gesprungen. Seine Gedanken der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen - und der öffentlichen Kritik auszusetzen - bedeutet mehr.

Eine mögliche Erklärung für die Motivation des Bloggers finde ich heute zufällig im Johari-Fenster, einem 1955 (!) von den Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham entwickelten Modell der Selbst- und Fremdwahrnehmung.

http://de.wikipedia.org/wiki/Johari-Fenster



Der Blogger kann seine öffentliche Persönlichkeit demnach in zwei Richtungen erweitern.

1. Er kann preis geben, was ihm bekannt, anderen aber bislang unbekannt ist, zumindest Teile seiner Geheimnisse.
In dem Moment, wo Geheimnisse keine Geheimnisse mehr sind weil sie geteilt werden, verlieren sie oft ihren Schrecken.
Andere können akzeptieren, was man selber nur schwer akzeptieren kann. Das wiederum kann einem selber helfen, seine "bösen Geheimnisse" und "dunklen Seiten" zu akzeptieren.

Adolf Muschg's Lieblingszitat zu dem Thema sinngemäß: "Schreiben muss man darüber, worüber man sich mit keinem Menschen zu sprechen traut." - Im Schreiben (in diesem Falle Bloggen) liegt eine gewisse Magie der Ehrlichkeit und Offenheit, die wir uns im normalen Leben nicht zutrauen.

Wittgensteins "Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen" in diesem Zusammenhang zu zitieren ist wohl etwas hoch gegriffen, dennoch bin ich der Meinung, "worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man sehr wohl schreiben." (siehe oben "Automatic Writing" und "Paper Brain")


2. Er kann viel lernen darüber, was ihm selber unbekannt, den anderen aber, seinen Lesern, offensichtlich ist.
Darüber, dass er seine Meinung anderen zur Beurteilung zur Verfügung stellt, bekommt er Rückmeldungen von anderen, die ihn ggf. mit seinen eigenen "Blinden Flecken" bekannt und vielleicht sogar vertraut macht.
Allein der Hinweis "Warum schreibst Du eigentlich immer über XY.." kann das Bewusstsein des Schreibenden über sein eigenes Schreiben erweitern.

"Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es gelesen wird" sagte einst ein Schweizer Schriftsteller.
Auf den Blog ausgeweitet könnte man sagen "Ein Blog ist erst ein Blog, wenn er kommentiert wird."

Interessanterweise entdecke ich in diesem Zusammenhang gerade die "Post Optionen":
- Leserkommentare zulassen
- Leserkommentare nicht zulassen
Zwischen den beiden Optionen liegen Welten.

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