Dienstag, 13. Juli 2010

Der jungfräuliche Gedanke

KREIEREN UND KONTROLLIEREN

KREIEREN
ich kann meine Texte einfach so fließen lassen - die Finger wissen in diesem Fall mehr als das Hirn.
Selbstverständlich haben Kreativ-Theoretiker und -Trainer diesen an sich wundervollen Vorgang zur Methode erklärt
und nennen es - natürlich in Amerikanisch: "Automatic writing".

"Automatic writing" wird dem Prozess aber nicht gerecht, denn mit einem Automaten hat er nichts zu tun, auch nicht mit einem Automatismus und erst recht nicht mit automatisch, wie wir den Begriff im Alltag verwenden.

Automatisch im Sinne von "von selbst", das ja.
Die Gedanken formieren sich von selbst, sammeln sich und manifestieren sich in schreibenden Fingern und schließlich im Text. Ein wundervoller und magischer Prozess.

Ich nenne das Phänomen für mich "Paper Brain" - auch amerikanisch, ein bisschen modern will ich ja auch sein, und es klingt flüßiger als "Papier Hirn".
Paper Brain darum, weil beim freien Schreiben das Papier tatsächlich mehr weiss als das Hirn,
ja das Hirn und der Verstand sind nach dem rauschhaften Schreiben sogar erstaunt darüber,
was da steht.

Und: Ähnlich wie beim Träumen, weiss das Hirn schon kurz nach der Vollendung des Textes nicht mehr, was da steht:
Der Text ist vollkommen am Verstand vorbeigegangen.
Etwas unheimlich ist das schon.

Was bleibt ist der Text als Manifest des Denkvorganges, wo auch immer er stattgefunden haben mag: Im Kopf, im Herzen, in den Fingern den Beinen oder dem Dickdarm.

Die Frage - gerade im Bezug auf das Blog-Schreiben ist: Wie wertvoll können diese frei hingeschriebenen, unkontrollierten, "automatischen" Texte für irgendjemand anderen sein?


KONTROLLIEREN

Meist sind wir mit extrem kontrollierten Texten konfrontiert. Mit (Zeitungs-)Artikeln, die 100 mal redigiert und umgeschrieben wurden, mit Präsentationen, in denen komplexe Inhalte auf sich ins Hirn brennende "Bullets" zusammengepfercht sind - ja selbst wie dahingeworfen wirkende e-mail-Texte sind oft Ergebnisse tagelanger Überlegungen und schlafloser Nächte.

Freie Texte finden wir allenfalls, wenn wir ein persönliches Notitzbuch von einem Autor finden, wie neulich das letzte Tagebuch von Max Frisch. - Und prompt geht dabei die Diskussion unter den Fachleuten los, ob diese Texte nun schon Literatur seien oder ob es am Image des großen Schriftstellers kratzen würde, diese "unfertigen" Texte zu veröffentlichen.

Ich werde versuchen, zumindest in diesem Blog, meine Texte nicht zu kontrollieren, den Gedanken ihre "Jungfräulichkeit" zu lassen. Meine Freunde werden mir sagen, ob das einer Audienz zumutbar ist.

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